Immungene-Signaturen helfen bei Behandlungsentscheidungen bei schwerkranken Patienten
Bei kritisch kranken Patienten im Notfall kann die schnelle und genaue Einschätzung des Immunstatus entscheidend für das Überleben sein. Purvesh Khatri, Professor für biomedizinische Informatik an der Stanford University, hat gemeinsam mit einem internationalen Forscherteam ein neuartiges Ansatz entwickelt, um durch Bluttests genetische „Signaturmuster“ in Immunzellen zu analysieren und so die Diagnose, Schweregrad und optimale Therapie bei Infektionen, Sepsis, Verbrennungen oder akutem Atemnotsyndrom zu bestimmen. Zwei in Nature Medicine veröffentlichte Studien präsentieren einen klinisch nutzbaren Ansatz: die Kombination eines bereits von der FDA zugelassenen Tests (TriVerity) mit einem neuen Bewertungssystem namens HI-DEF (Human Immune Dysregulation Evaluation Framework). TriVerity analysiert 29 Gene und nutzt KI, um die Wahrscheinlichkeit einer bakteriellen oder viralen Infektion sowie das Risiko für eine stationäre Behandlung innerhalb von sieben Tagen zu bewerten. Eine Validierungsstudie mit 1.222 Patienten aus 22 Notaufnahmen in Europa und den USA zeigte, dass TriVerity die gängigen Diagnosemethoden übertraf. Parallel dazu entwickelte das Team HI-DEF, das auf Daten aus über 7.000 Blutproben aus 37 Kohorten in 13 Ländern basiert. Dieses System klassifiziert Patienten in vier Gruppen: myeloide Dysregulation, lymphoide Dysregulation, systemweite Dysregulation und ausgewogenes Immunprofil. Höhere „schlechte“ Gen-Signaturen – also Hinweise auf eine gestörte Immunantwort – waren mit schlechteren Ausgängen bei Sepsis, Trauma und akutem Lungenversagen verbunden. Besonders aufschlussreich war, dass Patienten mit hoher lymphoider Dysregulation – unabhängig von der Ursache – von Steroiden profitierten, während Patienten mit ausgewogenem Immunstatus durch Steroide sogar schlechter abschnitten. Dies legt nahe, dass eine gezielte, immunmodulierende Therapie je nach Immunzustand sinnvoller ist als die Standardtherapie, die oft symptomatisch und nicht zielgerichtet ist. Khatri und Kollegen sehen in dieser Forschung den Beginn einer Ära der präzisen Medizin im Intensivbereich. Durch die Kombination von TriVerity und HI-DEF könnte ein Arzt innerhalb von 30 Minuten eine vollständige Einschätzung erhalten: Infektionstyp, Schweregrad und passende Therapie. Die Vision geht weiter: Langfristig soll die Bewertung von Immun-Dysregulation Teil einer jährlichen Gesundheitsuntersuchung werden, um Risiken frühzeitig zu erkennen – etwa bei Diabetes oder anderen chronischen Erkrankungen, bei denen bereits vorher „schlechte“ Gen-Signaturen nachweisbar sind. Ob Lebensstiländerungen diese Signatur beeinflussen können, ist noch unklar, aber die Hinweise sind vielversprechend. Industrielle Experten sehen in der Technologie eine bahnbrechende Innovation. „Diese Tests könnten die Grundlage für eine ganz neue Art der kritischen Versorgung bilden“, sagt ein klinischer Immunologe. „Statt auf Vermutungen zu setzen, können Ärzte jetzt auf objektive Daten zurückgreifen.“ Inflammatix, das Unternehmen hinter TriVerity, wird weiter an der klinischen Umsetzung arbeiten. Mit der Integration von KI, Genomik und klinischer Praxis könnte diese Technologie in Zukunft nicht nur Intensivstationen, sondern auch Allgemeinpraxen revolutionieren.