Teslas autonomes Fahrzeug-Übergabe-Video teilt das Internet
Elon Musk liebt grandiose Auftritte. Die Marketingmaschinerie von Tesla lebt von Spektakeln, und am 27. Juni bot das Unternehmen eine besonders kühne Vorstellung: ein 30-minütiges Video, das die erste vollautomatische Lieferung eines Tesla-Fahrzeugs ohne Fahrer und ohne Fernsteuerung zeigt. „Die erste volle automatische Lieferung eines Tesla Model Y vom Werk zum Kundenhaus in der Stadt, einschließlich Autobahnen, wurde einen Tag vor dem geplanten Termin absolviert!“ schrieb Musk auf X. In einem Nachfolgeposting steigerte er die Hype: „Es waren keine Menschen im Auto und es gab keinen Fernsteuerbetrieb zu irgendeinem Zeitpunkt. VOLL AUTOMATISCH!“ Er fügte hinzu: „Soweit wir wissen, ist dies die erste vollautomatische Fahrt ohne Menschen im Auto oder fernsteuernd auf einer öffentlichen Autobahn.“ Zusammen mit den Tweets sammelten die Videos fast 15 Millionen Aufrufe. Ein Teaser von drei Minuten wurde zuerst veröffentlicht, gefolgt von dem vollen 30-minütigen Video am 28. Juni. Darin sieht man ein Model Y, das von Teslas Gigafactory in Austin durch Stadtstraßen, Autobahnkreuzungen und Kreuzungen bis zum Haus des neuen Besitzers fährt. Das Auto hält an Stoppschildern, gibt bei roten Ampeln den Vortritt und navigiert durch echten Verkehr, alles ohne menschliche Beteiligung. Die Lieferung endet mit einem sichtlich aufgeregten neuen Besitzer, der das selbstfahrende Model Y in seiner Einfahrt begrüßt. Online war die Reaktion jedoch weniger einhellig enthusiastisch. „Waymo hat schon vorher vollautomatische Fahrten auf Autobahnen beansprucht“, schrieb ein Nutzer und verlinkte einen Beitrag vom Januar des Google-gemeinschaftlich betriebenen Selbstfahrzeug-Unternehmens. Waymo bietet seit Anfang dieses Jahres unaufgegebene Autobahnfahrten für Mitarbeiter in ausgewählten Städten an. Andere Nutzer bezeichneten die Vorstellung als PR-Stunt. „Erstaunlich! Sie haben also gerade gezeigt, was die Robotaxis ab 2026 in ganz Amerika tun werden. Fantastische Marketingstrategie, Tesla-Team!“ schrieb ein Nutzer, der darauf hinwies, dass Teslas Robotaxi-Pilotprogramm erst wenige Tage zuvor in Austin gestartet war, mit nur einem Dutzend Fahrzeugen und einem menschlichen „Supervisor“ auf dem Beifahrersitz. Im Gegensatz dazu bieten Waymo und Cruise schon seit Monaten öffentliche Fahrten ohne Menschen im Fahrerhaus an. Einige Nutzer fragten sogar Grok, den eingebauten Chatbot von X, nach der Autonomiestufe des Fahrzeugs. „@grok, um welche Autonomiestufe handelt es sich dabei von wie vielen insgesamt?“ fragte ein Nutzer, wobei er sich auf die branchebekannte SAE-Skala bezog, die die Fähigkeiten von Selbstfahrzeugen von Stufe 0 (keine Automatisierung) bis Stufe 5 (vollständig autonom unter allen Bedingungen, ohne menschliche Eingriffe) einteilt. Das, was Tesla hier präsentierte, ist beeindruckend. Aber ob es sich um einen Durchbruch oder ein sorgfältig inszeniertes Spektakel handelt, bleibt offen. Die entscheidende Frage lautet jetzt: Kann Tesla das morgen wiederholen? Und übermorgen? In Rushhour? Im Regen? Ohne denselben vorgetesteten Weg zu fahren? Solange diese Fragen nicht beantwortet sind, wird der Skeptizismus weiterhin wachsen. Tesla hat in der Tat echte Fortschritte mit seinem „Full Self-Driving“ (FSD)-System gemacht, das Kameras, Sensoren und neuronale Netze verwendet, um seine Fahrzeuge so zu trainieren, dass sie wie ein Mensch reagieren. Allerdings ist das System immer noch als Level 2 Autonomie klassifiziert, was bedeutet, dass es Fahrerüberwachung erfordert und nicht als vollständig autonom anerkannt wird. Andere Unternehmen wie Waymo und Cruise haben ähnliche Demos durchgeführt. Waymo führt schon seit einiger Zeit unaufgegebene Fahrten in komplexen Umgebungen wie Downtown San Francisco durch. Im Zentrum des Wettkampfs um Selbstfahrfahrzeuge stehen zwei grundlegend verschiedene Philosophien. Tesla setzt fast ausschließlich auf Kameras und KI. Sein Ansatz, bekannt als „Tesla Vision“, argumentiert, dass wenn Menschen mit zwei Augen fahren können, ein Auto dies mit acht Kameras, die eine 360-Grad-Sicht bieten, auch sollte. Dies ist eine visuell beeindruckende und kostengünstigere Methode, da sie teure Hardware vermieden wird. Auf der anderen Seite stehen Unternehmen wie Waymo, dessen System ebenfalls Kameras und Radar verwendet, aber den wesentlichen Sensor LiDAR (Light Detection and Ranging) einsetzt. LiDAR-Einheiten drehen sich, senden Millionen von Laserstrahlen pro Sekunde aus und erstellen eine hochgenaue, in Echtzeit aktualisierte 3D-Karte der Umgebung des Autos. Dies gibt dem Auto eine übermenschliche Fähigkeit, Entfernungen, Formen und Objekte mit großer Präzision zu erkennen, Tag und Nacht. Obwohl dieser Ansatz teurer ist, wird er von vielen in der Branche als robuster und redundanter betrachtet. Die Einsparung, die Tesla dadurch erzielt, dass es auf LiDAR verzichtet, könnte langfristig die Sicherheit und Zuverlässigkeit seines Systems beeinträchtigen. Mit diesem Hintergrund betrachtet, ist das Tesla-Video zwar ein PR-Erfolg, aber Muskas Behauptung, es sei der erste vollautomatische Fahrt ohne menschliche Beteiligung auf einer öffentlichen Autobahn, ist übertrieben. Etwa eine Woche vor der Video-Veröffentlichung, am 22. Juni, startete Tesla eine sehr begrenzte Version seines Robotaxi-Dienstes in Austin. Nicht nur, dass es nur wenige Fahrzeuge und ausgewählte Kunden betraf, sondern jedes Auto hatte einen menschlichen Supervisor auf dem Beifahrersitz und war auf ein „geofenced“ (geografisch eingeschränktes) Gebiet beschränkt. Darüber hinaus bietet Waymo bereits unaufgegebene Fahrten, die Autobahnfahrten einschließen, seinen Mitarbeitern in Phoenix, San Francisco und Los Angeles an. Diese Fähigkeit ist schon seit einiger Zeit funktionsfähig, auch wenn sie noch nicht für die Öffentlichkeit verfügbar ist. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass Waymo Jahre damit verbracht hat, Daten zu sammeln und die Sicherheit in diesen Gebieten mit seiner LiDAR-ausgerüsteten Flotte zu validieren, während Tesla eher darauf aus zu sein scheint, den Eindruck von Führung zu erwecken. Unser Fazit: Ist dies ein Durchbruch oder eine sorgfältig choreografierte Inszenierung? Das Tesla-Video ist ein PR-Sieg, aber bei Muskas Auftritt verdient eine gesunde Portion Skepsis. Es ist sehr wahrscheinlich, dass dieser spezifische 30-minütige Weg sorgfältig kartiert und unter idealen Bedingungen getestet wurde, um eine makellose Leistung für das Video sicherzustellen. Der echte Test der Autonomie ist nicht, ob ein Auto eine perfekte, vorgeplante Fahrt absolvieren kann; vielmehr ist es die Frage, ob es tausende unberechenbare Fahrten sicher durchführt und dabei Millionen von Meilen zurücklegt. Die entscheidende Frage lautet: Wenn Teslas System tatsächlich so „vollautomatisch“ ist, wie es in diesem Video dargestellt wird, warum erfordern seine kommerziellen Robotaxis dann immer noch einen menschlichen Supervisor? Musk ist ein brillanter Verkäufer, und dieses Video ist seine neueste und überzeugendste Werbung. Es verkauft eine Zukunftsvision, die verlockend nahe erscheint. Doch wie oft in der Vergangenheit gezeigt, kann der Abstand zwischen einem Werbevideo und der täglichen Realität bei Tesla groß sein. Bis diese Autos in unzähligen Städten ohne menschliches Sicherheitsnetz navigieren, bleibt dieser „historische“ Erstling eher ein brillantes, aber möglicherweise brüchiges Marketingstück.