Ex-Twitch-Chef warnt vor zu viel Delegation
Emmett Shear, ehemaliger CEO von Twitch und kurzzeitiger Interims-CEO bei OpenAI, warnt vor übermäßiger Delegation von Entscheidungen durch Führungskräfte. Während seiner Amtszeit bei Twitch, dem Streaming-Plattform, die 2014 an Amazon verkauft wurde, erkannte er, dass er zu viele strategische Entscheidungen an seine Vorgesetzten abgegeben hatte – mit negativen Folgen. Anfangs war die Delegation sinnvoll: So war es entscheidend, dass er einen CTO einstellte, da er selbst die technische Architektur nicht verstand. Doch mit der Zeit entwickelte sich ein Muster, bei dem er seine eigenen Zweifel unterdrückte, weil er glaubte, Experten müssten frei agieren dürfen. „Ich dachte, ich solle nicht eingreifen, wenn ich etwas nicht mag – das war ein Fehler“, sagte Shear im Gespräch mit dem „Social Radars“-Podcast. Er betonte, dass der CEO die einzige Person im Unternehmen sei, die das Gesamtbild verstehe, da nur er Zugang zu allen Kontexten habe. Ohne diese Perspektive könne niemand wirklich die richtigen Entscheidungen treffen. Shear beschreibt die Folgen: übermäßige Delegation führe zu langsameren Entscheidungen, weniger Risikobereitschaft und geringerer Effizienz. Obwohl er heute ein kleineres Unternehmen, die KI-Firma Softmax, leitet, sieht er die Lektion weiterhin relevant. Die Lösung, so sagt er, liegt in besserer Urteilsfähigkeit, die aus der Reflexion vergangener Erfahrungen entsteht. Er betont, dass Führungskräfte nicht nur delegieren, sondern auch unterscheiden müssen: Welche Entscheidungen sind entscheidend? Bei welchen kann man Fehler zulassen, um zu lernen? Diese Fähigkeit habe er selbst erst durch viele Fehler erworben. Seine Ansicht spiegelt die Silicon-Valley-Philosophie des „Founder Mode“ wider, die von Paul Graham geprägt wurde. Graham kritisierte, dass die gängige Devise „Gute Leute einstellen und ihnen Raum geben“ oft zu einer Verantwortungslosigkeit führt – insbesondere wenn die Führungskräfte nicht die volle Kontextwahrnehmung besitzen. Auch Shear, der mit Sam Altman, dem ehemaligen OpenAI-CEO, eng verbunden ist, vertritt die Ansicht, dass Führung nicht nur darin besteht, zu vertrauen, sondern auch zu wissen, wann man eingreifen muss. Industriebeobachter sehen in Shears Warnung eine aktuelle Relevanz: In Zeiten von Wachstum und Komplexität neigen viele Führungskräfte dazu, sich aus Entscheidungsprozessen zurückzuziehen – was zu Ineffizienz und Fehlentwicklungen führen kann. Seine Erfahrung unterstreicht, dass Delegation keine Abkehr von Verantwortung ist, sondern Teil einer bewussten Führung, die Balance zwischen Vertrauen und Kontrolle erfordert.