Neue Molekularkarte des Nierens öffnet Wege für diagnostische Fortschritte
Die Niere, ein entscheidendes Organ für die Filterung von Abfallstoffen und die Regulation von Flüssigkeiten, ist Gegenstand eines molekularen Abbildungsprojekts, das unser Verständnis der Nierenfunktion revolutionieren könnte. Obwohl es in den Bereichen Transcriptomik und Proteomik große Fortschritte gegeben hat, blieben Lipide – wichtige Struktur- und Signal moleküle – bisher im Kontext der Nierenfunktion weitgehend unerforscht. Dies ändert sich jedoch durch eine neue Studie, die in „Science Advances“ veröffentlicht wurde. Forscher vom Mass Spectrometry Research Center an der Vanderbilt University und dem Labor von Jeff Spraggins sowie die Gruppe von Raf Van de Plas am Delft University of Technology haben ein hochauflösendes molekulares Atlas der menschlichen Niere erstellt. Dabei nutzten sie eine fortschrittliche Bildgebungsmethode namens MALDI-Massenspektrometrie und interpretierbares maschinelles Lernen. Der Atlas ist das umfangreichste seiner Art und integriert Daten von 29 menschlichen Nierenspendern. Die Forscher kartierten Lipidarten über Millionen von Massenspektrometrie-Messungen aus mehr als 100.000 diskreten funktionellen Gewebeeinheiten, darunter Glomeruli, proximale und distale Tubuli, der dünne steigende Ast und Sammelrohre. "Dies war unser ambitioniertestes und umfangreichstes multimodales molekulares Abbildungsprojekt bislang," sagte Spraggins, Senior-Autor und Co-Leiter des Projekts. "Durch die räumliche Zuordnung der Lipidzusammensetzung zu anatomischen und funktionellen Teilen der Niere konnten wir effektiv einen molekularen Barcode für jedes Element des menschlichen Nephrons generieren." Unter den bemerkenswerten Ergebnissen: Der molekulare Blick auf die Nierenfunktion enthüllt spezifische Lipid-Biomarker für unterschiedliche funktionelle Gewebeeinheiten des Nephrons. Trotz natürlicher Unterschiede zwischen den Spenderorganen waren bestimmte Sphingomyeline – eine Art von Lipiden – in den Glomeruli konstant angereichert, was darauf hindeutet, dass sie zelltypen-unterstützende Funktionen bei der Filtration haben. Andere Lipidklassen, wie Sulfatide und Phosphatidylserine, waren stark mit der Rückgewinnung von Nährstoffen und der Ionentransport in Strukturen wie der Schleife von Henle und den proximalen Tubuli verbunden. Das Team untersuchte außerdem, wie sich Lipidprofile nach Geschlecht und Body Mass Index (BMI) unterscheiden. Unter Verwendung interpretierbarer maschineller Lernmodelle identifizierten die Forscher Kandidaten-Biomarker, einschließlich Arachidonsäure-enthaltender Phospholipide, die die geschlechtsspezifische Physiologie und hormonelle Regulation widerspiegeln könnten. Zudem wurden bestimmte Phosphatidylcholine und Sphingomyeline mit obesity-assoziierten Veränderungen im Gewebe der Niere in Zusammenhang gebracht, darunter Markoren für Glomerulasklerose. "Es ist so, als würde man jedem eine Google Maps-Version der Niere geben, aber anstelle von Straßen und Landmarken kartieren wir hier die zelluläre Organisation und molekulare Signaturen," erklärte Spraggins. "Und wie bei Karten kann man, sobald man das Gelände sieht, präziser navigieren und eingreifen." Die potenziellen Vorteile sind weitreichend: Ein verbessertes Verständnis der Beziehungen zwischen zellulären und molekularen Verteilungen in der Niere, eine präzisere Einteilung des Krankheitsrisikos von Patienten auf der Basis molekularer Daten und letztlich lipidgezielte Interventionen für Erkrankungen. Wichtigerweise sind die Daten und Werkzeuge über das Human Biomolecular Atlas Program (HuBMAP) der National Institutes of Health kostenlos verfügbar, sodass die wissenschaftliche Gemeinschaft diese Ressource für neue Hypothesen nutzen kann. Das Biomolecular Multimodal Imaging Center (BIOMIC) hat sechs Jahre lang daran gearbeitet, einen Atlas für die menschliche Niere und andere Organ-systeme zu entwickeln. Neben Vanderbilt-Forschern umfasst BIOMIC auch Kliniker vom Vanderbilt University Medical Center und Datenwissenschaftler vom Delft University of Technology in den Niederlanden. Die Erkenntnisse dieser Studie könnten in neue diagnostische Markierungen oder therapeutische Ziele für nierenbezogene Erkrankungen münden. "Dieser Atlas legt eine molekulare Grundlage fest," sagte Melissa Farrow, Co-Erstautorin und Forschungsprofessorin für Zell- und Entwicklungsbiologie. "Indem wir krankes Gewebe mit diesem Referenzatlas vergleichen, können wir beginnen, die Lipidveränderungen zu identifizieren, die Pathologien zugrunde liegen." Dieses Projekt stellt einen Wendepunkt in der Integration von Lipidomik in die biomedizinische Hauptströmung dar und redefiniert, wie wir Organe durch ein molekulares Sehrohr betrachten. Es bietet somit neue Wege, um die Nierenfunktion zu verstehen und mögliche Krankheitsursachen zu identifizieren, was langfristig zu besseren Diagnosen und Therapien führen könnte. Insgesamt bewerteten Insider der Branche die Studie sehr positiv. Sie sehen darin ein bedeutendes Werkzeug zur Verbesserung der präzisen Medizin und zur Förderung weiterer Forschung in der Nierenfunktion. Das Biomolecular Multimodal Imaging Center hat sich in den letzten sechs Jahren intensiv auf die Entwicklung solcher Atlanten konzentriert und zeigt dabei eine beeindruckende Leistungsfähigkeit. Die Verfügbarkeit der Daten im Rahmen des HuBMAP-Programms wird als wichtiger Schritt zur Förderung der kollektiven Wissenschaftsaufarbeitung und zur Generierung neuer Hypothesen angesehen.