AI verwandelt Prüfungen an Hochschulen in unlösbare Herausforderung
Generative KI-Tools wie ChatGPT haben die Hochschulprüfungen weltweit grundlegend verändert und eine neue, kaum lösbare Herausforderung geschaffen, warnt eine aktuelle Studie. Forscher der Deakin University – Thomas Corbin, David Boud, Margaret Bearman und Phillip Dawson – bezeichneten die Situation in einer im März 2025 veröffentlichten Arbeit in der Fachzeitschrift Assessment & Evaluation in Higher Education als „wicked problem“: ein komplexes, interdependentes und prinzipiell unlösbares Dilemma, das durch keine einfache Lösung zu bewältigen ist. Anhand von 20 einstündigen, halbstrukturierten Zoom-Gesprächen mit Lehrveranstaltungsleitern einer großen australischen Universität im zweiten Halbjahr 2024 zeigten die Autoren, dass Professoren zwischen widersprüchlichen Zielen gefangen sind: Einerseits sollen Prüfungen kreativ, authentisch und praxisnah sein, andererseits müssen sie gegen KI-Unterstützung abgesichert werden. Viele Lehrkräfte sind überfordert, da die Versuche, KI-resistente Aufgaben zu entwerfen, entweder zu komplex, zu zeitaufwändig oder zu wenig skalierbar werden. So führte ein Versuch, sowohl KI-freie als auch KI-erlaubte Aufgaben anzubieten, zu einer Verdoppelung der Arbeitsbelastung. Andere befürchten, dass strengere Kontrollen weniger Kreativität fördern, sondern nur die Compliance testen. Mündliche Prüfungen, als Alternative, gelten als sicherer gegen KI, sind aber für große Studiengänge logistisch unmöglich. Die Forscher betonen, dass jede Maßnahme neue Probleme schafft – etwa, wenn man KI verbietet, dann entsteht ein Kulturkonflikt, wenn man sie erlaubt, droht die Authentizität der Leistung zu schwinden. Ihr Fazit: Es gibt keinen „einen richtigen Weg“. Stattdessen fordern sie eine kulturelle Verschiebung: Hochschulen sollten Lehrkräften erlauben, zu kompromissen, zu variieren und kontinuierlich zu iterieren. Der Fokus sollte nicht auf perfekten, KI-resistenten Prüfungen liegen, sondern auf einem flexiblen, reflektierten und menschzentrierten Bewertungssystem. Gleichzeitig nutzen viele Professoren KI selbst – etwa zur Erstellung von Übungen oder Berichtsvorlagen –, um Zeit für individuelle Betreuung zu gewinnen. Andere verbieten sie in Grundkursen, nachdem sie künstliche Zitate oder maschinell erzeugte Texte entdeckt haben. Außerhalb der Hochschulen wird die Diskussion weitergeführt: Ökonom Tyler Cowen argumentiert, dass KI aufdeckt, wie wenig viele Lehrinhalte tatsächlich wertvoll sind – viele Prüfungen seien nur leicht zu bewerten, aber wenig relevant. Reid Hoffman, Mitbegründer von LinkedIn, sieht eine Zukunft mit komplexeren, schwerer zu manipulierenden Prüfungen – etwa mündliche Prüfungen oder sogar KI-Prüfer, die den Lernprozess selbst überwachen. Die Studie wird von Bildungsexperten als wegweisend begrüßt. „Wir sind nicht mehr in der Phase, in der man einfach eine Technologie ausblenden kann“, sagt Dr. Lena Weber, Hochschuldidaktikerin an der TU Berlin. „Die Lösung liegt nicht in Verbots- oder Überwachungspolitiken, sondern in einer neuen Kultur der Lernbewertung.“ Die Deakin University gilt als führend in der Forschung zu digitaler Bildung und Assessment. Die Empfehlung, mit Unsicherheit zu leben und kontinuierlich zu adaptieren, markiert einen Paradigmenwechsel: Von der Suche nach einem perfekten, KI-freien Prüfungssystem hin zu einer flexiblen, menschlich geprägten Lehrkultur.