Marvell baut AI-Unabhängigkeit mit maßgeschneiderten XPUs aus
Marvell Technology hat mit seiner Custom XPU-Pipeline eine klare strategische Wende vollzogen und sich damit als unabhängiger Akteur im AI- und Cloud-Chip-Markt etabliert. Der entscheidende Schritt war die Übernahme von Avera Semiconductor im Jahr 2019, die dem Unternehmen Zugang zu einer hochspezialisierten Chip-Design- und -Produktionskompetenz verschaffte – insbesondere aus dem ehemaligen IBM-Mikroelektronik- und GlobalFoundries-Team. Diese Expertise bildet heute die Grundlage für Marvells wachsenden Geschäftsbereich im Bereich kundenspezifischer XPUs (AI- und Rechenbeschleuniger). Während die Übernahme von Inphi 2020 vor allem die Finanzen stärkte und den Zugang zu Hyperscalern wie Amazon, Microsoft und Google verbesserte, ist die Avera-Integration der eigentliche Treiber für die langfristige strategische Unabhängigkeit. Marvell agiert heute nicht mehr nur als Hersteller von Standardchips, sondern als Partner für die Entwicklung und Produktion maßgeschneiderter XPUs. Aktuell unterstützt das Unternehmen mehrere große Cloud-Anbieter: Bei Amazon Web Services (AWS) ist Marvell maßgeblich an der Entwicklung und Produktion der Trainium-2- und Trainium-3-Chips beteiligt und arbeitet an der nächsten Generation. Gleichzeitig hilft Marvell Microsoft bei der Entwicklung der Maia-100- und Maia-200-XPUs für Azure. Wichtiger noch: Marvell bietet nun auch die Integration von NVLink Fusion-IP-Blöcken an, was es Hyperscalern ermöglicht, ihre eigenen CPUs mit Nvidia-GPUs oder mit Nvidia-Server-CPU-Generations wie Grace und Vera über kohärente Speicherverbindungen zu verbinden – ohne vollständige Abhängigkeit von Nvidia. Dies ist besonders relevant im Kontext einer möglichen Antitrust-Aktion gegen Nvidia, das mit 90 % Marktanteil in der AI-Computing-Branche und hohen Margen (bis zu 75 % Bruttomarge) ein Monopolrisiko darstellt. Die Zahlen sprechen eine klare Sprache: Im zweiten Quartal des Fiskaljahres 2026 stieg der Umsatz auf 2,01 Milliarden US-Dollar – ein Plus von 57,6 % gegenüber dem Vorjahr. Der Betriebsgewinn stieg von einem Verlust von 100,4 Millionen auf 290,1 Millionen, und der Nettogewinn lag bei 194,8 Millionen, nach einem Verlust von 193,3 Millionen im Vorjahr. Der Datacenter-Bereich verantwortete 83,9 % des Umsatzes mit 1,49 Milliarden Dollar – ein Anstieg um 69,2 % im Jahrzurück. Davon entfielen rund 300 Millionen auf Custom XPU-Chips (doppelt so viel wie vor einem Jahr), und die Elektro-Optik-Produkte (z. B. Inphi-Technologie) erzielten 709 Millionen Dollar Umsatz – eine Verfünffachung im Vergleich zum Vorjahr. Marvell hat nun über 50 potenzielle Custom-XPU-Projekte in der Pipeline, darunter 18 aktive Sockets, mit einem potenziellen Gesamtumsatz von 75 Milliarden Dollar über die Laufzeit der Verträge. Die Gesamtmarktgröße für Datacenter-Chips wird von Marvell auf 94 Milliarden Dollar im Jahr 2028 hochgesetzt (vorher 75 Milliarden), mit einem Ziel, 20 % davon zu erreichen – also rund 18,8 Milliarden Dollar im Jahr 2028. Das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 36,3 % – deutlich über der von Intel (16,56 Mrd. $) und AMD (14,32 Mrd. $), und zwar fast ein Drittel der Nvidia-Umsätze (146,56 Mrd. $). CEO Matt Murphy betont die strategische Bedeutung: Marvell wird künftig seine Datacenter- und Enterprise-Networking-Bereiche unter einer einzigen Einheit, dem „Data Center Group“, zusammenführen, geführt von Sandeep Bharathi, der die Avera-Integration und die 5-nm-Produktionsfähigkeit maßgeblich vorangetrieben hat. Obwohl die Custom-XPU-Umsätze im dritten Quartal flach bleiben könnten, rechnet Marvell mit einem Wachstum im mittleren Dreißigerbereich – ein solider, aber realistischer Kurs im Vergleich zu Nvidias 50 %-Zielen. Bewertung: Branchenexperten sehen in Marvells Custom-XPU-Strategie eine Antwort auf die wachsende Unabhängigkeitstendenz der Hyperscaler. Die Kombination aus Avera-Expertise, NVLink-Fusion-Integration und direktem Zugang zu Cloud-Playern macht Marvell zu einem zentralen Akteur im „Post-Nvidia“-Ökosystem. Die Antitrust-Bedrohung gegen Nvidia beschleunigt diesen Trend, da sie die Offenheit der Infrastruktur erzwingt. Marvells Wachstum ist zwar nicht so explosiv wie Nvidias, aber stabil und skalierbar – mit einer klaren Positionierung als „Enabler“ für die nächste Generation kundenspezifischer AI-Architekturen.