Seltene blaue Proteine könnten Hirnzellen steuern
Seltene blaue Proteine von kaltangepassten Mikroorganismen könnten als Prototypen für molekulare Schalter dienen Cryorhodopsine sind eine Gruppe von Proteinen, die in Kälte liebenden Mikroorganismen gefunden werden. Sie haben die bemerkenswerte Fähigkeit, die elektrische Aktivität von Zellen anzuschalten und abzuschalten. Dieses Bild zeigt Cryorhodopsine. (Daniela Velasco/EMBL) Kirill Kovalev, ein EIPOD-Postdoc-Fellow der Schneider-Gruppe am EMBL Hamburg und der Bateman-Gruppe am EMBL-EBI, ist Physiker mit Leidenschaft für die Lösung biologischer Probleme. Besonders fasziniert ist er von Rhodopsinen, farbigen Proteinen, die aquatische Mikroorganismen ermöglichen, Sonnenlicht zur Energiegewinnung zu nutzen. Während er Online-Proteindatenbanken durchsuchte, entdeckte Kovalev eine ungewöhnliche Eigenschaft, die nur Rhodopsine in sehr kalten Umgebungen wie Gletschern und hohen Bergen gemeinsam hatten. Diese Proteine, die er „Cryorhodopsine“ nannte, waren fast identisch, obwohl sie Tausende von Kilometern voneinander entfernt evolviert waren. Die Farbe jedes Rhodopsins wird durch seine molekulare Struktur bestimmt, die wiederum die Wellenlängen des Lichts beeinflusst, das es absorbiert und reflektiert. Die meisten Rhodopsine sind rosa-orangefarben, aber blau leuchtende Rhodopsine wurden besonders gesucht, da sie durch rotes Licht aktiviert werden, das tiefere Gewebe besser durchdringt und weniger invasiv ist. Zu Kovalevs Erstaunen zeigten die Cryorhodopsine im Labor eine überraschende Vielfalt von Farben, darunter auch blauen. Diese Entdeckung wurde in der Zeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht. Kovalev und seine Kollegen untersuchten die Cryorhodopsine in kultivierten Gehirnzellen. Wenn Zellen, die Cryorhodopsine exprimierten, mit UV-Licht bestrahlt wurden, entstanden elektrische Ströme in ihnen. Interessanterweise machten die Zellen nach grünem Licht mehr empfanglich, während UV-/rotlicht-Bestrahlung ihre Empfindlichkeit reduzierte. Neue optogenetische Werkzeuge, die die elektrische Aktivität von Zellen effizient sowohl „an“ als auch „aus“ schalten können, wären unglaublich nützlich für Forschung, Biotechnologie und Medizin, erklärt Tobias Moser, Gruppenleiter am Universitätsmedizinum Göttingen, der an der Studie beteiligt war. „In meiner Gruppe entwickeln wir neue optische Cochlea-Implantate, die Patienten helfen können, ihr Hören optogenetisch wiederherzustellen. Die Weiterentwicklung solcher vielseitigen Rhodopsine für zukünftige Anwendungen ist eine wichtige Aufgabe für weitere Studien.“ Kovalev ist sicher, dass Cryorhodopsine, obwohl sie noch nicht als Werkzeuge bereit sind, ausgezeichnete Prototypen sind. Sie haben alle wesentlichen Merkmale, die aufgrund ihrer Funde verbessert und optimiert werden könnten, um für optogenetische Anwendungen effektiver zu sein. Die Forscher vermuten, dass Cryorhodopsine ihre einzigartigen Eigenschaften nicht wegen der Kälte, sondern um UV-Licht wahrzunehmen, entwickelt haben. In kalten Umgebungen, wie zum Beispiel auf Berggipfeln, sind Bakterien UV-Strahlung ausgesetzt, die für sie schädlich sein kann. Cryorhodopsine könnten ihnen helfen, dieses UV-Licht zu erkennen, um sich zu schützen. Diese Hypothese deckt sich gut mit den Ergebnissen der Studie. Die Entdeckung solcher außergewöhnlichen Moleküle wäre ohne wissenschaftliche Expeditionen in oft abgelegene Orte, um die Anpassungen der dort lebenden Organismen zu studieren, nicht möglich gewesen. „Wir können so viel daraus lernen!“, betont Kovalev. Um die faszinierende Biologie der Cryorhodopsine zu enthüllen, mussten Kovalev und seine Kollegen mehrere technische Herausforderungen bewältigen. Eine davon war, dass Cryorhodopsine in ihrer Struktur fast identisch sind und selbst kleinste Veränderungen in der Position einzelner Atome zu unterschiedlichen Eigenschaften führen können. Die Untersuchung dieser Moleküle erfordert daher Methoden über Standardverfahren hinaus. Kovalev wählte einen 4D-strukturellen Ansatz, der Röntgenstrahlungskristallographie am EMBL Hamburg-Strahlungslinie P14 und cryo-Elektronenmikroskopie (cryo-EM) in der Gruppe von Albert Guskov in Groningen, Niederlande, kombiniert mit Proteinaktivierung durch Licht. „Ich habe mich entschieden, mein Postdoc am EMBL Hamburg zu machen, weil die einzigartige Strahlungslinien-Aufstellung mein Projekt erst möglich machte“, sagt Kovalev. „Das gesamte P14-Team hat zusammen gearbeitet, um die Aufstellung meinen Experimenten anzupassen—ich bin sehr dankbar für ihre Hilfe.“ Ein weiteres Problem war die extreme Lichtempfindlichkeit der Cryorhodopsine. Deshalb mussten Kovalevs Kollegen lernen, mit den Proben praktisch im Dunkeln zu arbeiten. Industrieinsider und Experten sehen in diesen Entdeckungen große Potenziale für zukünftige Anwendungen. Die Fähigkeit der Cryorhodopsine, sowohl die elektrische Aktivität von Zellen als auch UV-Licht zu steuern, könnte zu revolutionären Fortschritten in der Neurowissenschaft und Biomedizin führen. Das EMBL ist eine führende institutionelle Plattform für molekularbiologische Forschung und die Entwicklung neuer Technologien. Kovalevs Arbeit unterstreicht die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit und fortschrittlicher experimenteller Methoden in der modernen Biowissenschaft.